Schritt für Schritt nach „1984“

Man kann guten Gewissens behaupten, dass der 9. 11. ein schicksalsreicher Tag der deutschen Geschichte ist. Adolf Hitler legte großen Wert auf diesen Tag, an dem der Hitler-Ludendorff-Putsch stattfand (1923), die SS gegründet wurde (1925) und die Reichspogromnacht stattfand (1938). Genau so braun geht es weiter, denn heute wurde das Gesetz zur lückenlosen Protokollierung der Fernkommunikation, offiziell Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG beschlossen. Wie das aber in einem hierarchischem System ist, werden bestimmte Personengruppen von dieser Speicherung ausgenommen. Zu dieser Elite gehören Abgeordnete und Geistliche, also der erste und zweite Stand aus dem Feudalsystem. Ich bin mit dem Begriff „Renazifizierung“ wohl noch zu optimistisch, es geht nicht bloß zurück ins dritte Reich, sondern gleich ins Mittelalter. Ärzte und Anwälte gehören nicht dazu. Bayerns Innenminister verteidigt die fehlende Immunität der Anwälte im Gegensatz zu der der Geistlichen wie folgt:

Nun, wir müssen natürlich grundsätzlich die Möglichkeit haben, weil sich leider manchmal auch Anwälte in rechtswidriges Handeln hineinziehen lassen oder auch von sich aus ganz engagiert beteiligt sind. Ich bin selber als Anwalt tätig gewesen und habe hohen Respekt vor meinen Berufskollegen. Aber es ist letztlich von der Art wie manche agieren, leider einige schwarze Schafe, doch noch etwas anderes, als in der Regel Priester zum Beispiel, Angehörige der Religionsgemeinschaften, Pfarrer, hier agieren. Also, das sind feinsinnige Unterschiede.

Bei Anwälten gibt es schwarze Schafe, bei Priestern nicht, laut Herrmann. Da dieser Mensch Völkermord und Kindesmissbrauch anscheinend nicht als Verbrechen definiert, würde ich ihn nie in die Nähe zu Kindern lassen, oder auch nur zu irgendwelchen Menschen.

Auch für die Immunität der Abgeordneten hat er eine Begründung, die ebenso sinnig ist:

Ich sage das gerade am heutigen 9. November mit der besonderen Geschichte Deutschlands. Denn so hat der Nationalsozialismus 1933 ja begonnen, indem die Sicherheitsleute Hitlers erst mal die Kommunisten ausgeschaltet haben aus dem Deutschen Reichstag, et cetera. Also, dass Abgeordnete in Deutschland einen besonderen Schutz haben und nicht einfach sozusagen von der Straße weg durch Sicherheitsbehörden kontrolliert werden, das hat schon eine ganz besondere Begründung und auch in Deutschland natürlich eine ganz besondere historische Notwendigkeit.

Den Geschichtsunterricht in Bayern möchte ich nicht erleben, wenn Herrmann ernsthaft davon ausgeht, dass der Nationalsozialismus erst 1933 entstanden ist. Wurden nach der Meinung dieses geistigen Kastraten sämtliche Nazis nach der Wahl 1933 aus einem Parallelunversum nach Deutschland gebeamt, um erstmal „die Kommunisten auszuschalten“?

Interessant ist auch, dass Herrmann meint, nun könne man von der Vorratsdatenspeicherung betroffene Menschen einfach mal „von der Straße weg“ kontrollieren, obwohl dies gar nicht in dem Gesetz steht. Hat der bayerische Chefvoyeur hier seine Zukunftspläne vorweggenommen?

Aber ich bin anscheinend nicht der einzige, der Vergleiche zum dritten Reich herstellt, wenn er von Orwell’scher Totalüberwachung spricht, die der nächste Schritt in Richtung Faschismus ist. Im Gegensatz zu mir meint Bayerns „Auge“ aus der Geschichte gelernt zu haben, dass Überwachung und Kontrolle der Bürger eine tolle Sache sind. Lassen wir Leute wie Herrmann noch ein paar Jahre so weitermachen, dann werden wir die Figuren aus 1984 und V for Vendetta um ihre Privatsphäre noch beneiden.

Eine Antwort to “Schritt für Schritt nach „1984“”

  1. Die Neinsager vom 9. November « Wut! Says:

    […] meisten –einfach und bequem wie vorher abgestimmt zugestimmt, als es um die Schaffung eines in Gesetzesform verkleideten Unrechts ging, das in Zunkunft die totale Bespitzelung aller Telefon- und Internetnutzer in der BRD […]

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